Let’s talk about Connewitz…

Ungebetene Gäste

Seit Anfang Februar verfügt Connewitz über eine neue Sehenswürdigkeit. Mitten im „Bermudadreieck“ zwischen Bornaischer, Meusdorfer und Wolfgang-Heinze-Straße wurde ein neuer Polizeiposten eröffnet. Doch während Stadtverwaltung und Polizei vor Freude und Stolz über diese „geniale Idee“ (OBM Burkhard Jung) zu platzen drohen, ist die Reaktion im Viertel verhalten. Der Polizeiposten ist ein politisches Signal, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben.

Eine „geniale Idee“?

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Für die Sicherheit in Connewitz macht der neue Posten wenig Sinn. Er widerspricht der kürzlich erfolgten Polizeistrukturreform in Sachsen, in deren Zentrum die „Optimierung“ des Personal- und Verwaltungseinsatzes steht. Während Polizeibeamt_innen in Hoyerswerda wegen Personalmangels kürzlich zwei Menschen auffordern mussten, die Stadt zu verlassen, anstatt sie vor Naziangriffen zu schützen, wird hier ungeplant eine zusätzliche Dienststelle eröffnet.
Trotz der erklärten „Bürgernähe“ wird das Büro kaum frequentiert. Wenn es dunkel wird, übt sich die Polizei in einer offensiveren Annäherungsart und ist massiv vor dem Posten und in der Umgebung präsent und schikaniert Menschen, die (nicht) ins polizeiliche Raster passen. Besonders die Bereitschaftspolizei und Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) scheinen sich aufgrund des Ausbleibens erwarteter Anschläge unterfordert zu fühlen. Sehr zum Ärgernis der Connewitzer_innen, denen ein bisschen weniger polizeiliche Zutraulichkeit lieber wäre. Dass herumstehende, besetzte Polizeiwagen durchgehend ihren Motor oder die Standheizung laufen lassen und stets Straße und Gehweg blockieren, sorgt auch nicht gerade für Begeisterung bei den Anwohner_innen.

Schwerer wiegt dabei die Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Des Öfteren wurden Menschen bereits verdachtsunabhängigen Kontrollen unterzogen, ob auf dem Weg zur Haltestelle, zum Einkauf, zur Arbeit oder zur Kneipe an der Ecke. Das wollen wir – mitten in einem Wohnviertel und egal, ob dieses nun Connewitz heißt – nicht hinnehmen.

Bis alle im Gleichschritt laufen!

Welches Kalkül hinter der Errichtung des Polizeipostens und den einhergehend verstärkten Kontrollen in Connewitz steckt, wird dabei besonders deutlich: Die Legitimation einer subtilen law-and-order-Politik, der vor allem die Freiheiten und Freiräume, die dieser Stadtteil (noch) zu bieten hat, ein Dorn im Auge sind. Problematisch ist dabei insbesondere die Errichtung eines Kontrollbereiches in unklarer räumlicher Ausdehnung um den Polizeiposten selbst. Hier wird nicht das potenzielle Ausüben von Straftaten kontrolliert, sondern der Raum an sich.

Dieselbe Szenerie findet sich unweit am Connewitzer Kreuz. Seit 1999 wird der Platz – mit einer Unterbrechung zwischen 2000 und 2003 – von einer polizeilichen Kamera überwacht. Ob elektronisches Auge oder die Augenpaare von Polizeibeamt_innen – permanente Beobachtung und potenzielle Kontrollmaßnahmen erzeugen Konformitätsdruck. Jede und jeder, die oder der den bewachten Bereich passiert, wird automatisch unter Verdacht gestellt.

Dass diese Methoden ein politisches Kalkül haben, liegt auf der Hand. Denn nach Bekunden der Polizei ist Connewitz kein Kriminalitätsschwerpunkt. Polizeipräsident Bernd Merbitz bestätigte das am 16. Oktober 2013, als er zur Sicherheitspolitischen Stunde im Stadtrat nur von “Problemchen” in Connewitz sprach. Sprich: Es geht nicht darum, Alltagskriminalität zu verhindern, sondern es eine weitere Drohgebärde gegen eine politisch unliebsame Szene zu errichten.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten bedienen sich die Repressionsorgane vielfältiger Mittel, Connewitz – als Raum politischen Handelns mit seinen Bewohner_innen, (Frei-)Räumen, Projekten, Initiativen, Gruppen und Vereinen – zu überwachen und einzuschränken.

Erinnert sei an die massive nächtliche Präsenz von Einsatzfahrzeugen in den Straßen des Stadtviertels oder die aufgrund mangelnder Effizienz wieder eingestellten Komplexkontrollen. Nicht zu vergessen ist aber auch der Aufruf des ehemaligen Revierleiters Frank Gurke im Schlepptau des CDU-Stadtrates Karsten Albrecht, die zum Ausspionieren der links-alternativen Szene anhielten, anstelle die Befürchtungen von Gentrifizierungstendenzen ernst zu nehmen. Zuletzt versuchte die Polizei über einen sozialen Träger, ein Kiezmanagement zur Befriedung von Konflikten zu installieren. Finanziert wurde dieses aus Landesmitteln, die bisher ausschließlich für die Arbeit gegen Neonazismus vorgesehen waren.

Connewitz bleibt Connewitz, wenn auch anders!

Connewitz kann auf eine nicht zufälligerweise nahezu ähnlich lange Geschichte alternativer und linker Politik wie auch staatlicher Repression zurückblicken. Angefangen hatte alles mit einer Vielzahl an Hausbesetzungen Anfang der 1990er-Jahre und der damit verbunden Etablierung als Zentrum linker Politik. Spätestens nach den schweren Ausschreitungen am 27./28. November 1992, als ein Connewitzer von der Polizei angeschossen wurde, zeigten die Behörden großes Interesse daran, dass aus linker Politik in Connewitz nur eine Kurzgeschichte werden soll. Connewitz ist jedoch unbeeindruckt davon stets ein alternatives linkes Viertel geblieben, auch wenn es sich in vielen Punkten verändert und entwickelt hat.

Und so sind wir heute gern in diesem Kiez, auch wegen seiner Geschichte. Weil es hier die dringend notwendigen Freiräume gibt, weil wir hier unsere kulturellen und politischen Ansätze entwickeln und ausleben können. Die vielen kleinen Dinge machen Connewitz aus: Es bestehen hier Orte zum Debattieren oder Räume, um subkulturell geprägte Konzerte zu besuchen oder Filme in Wohnzimmerathmosphäre zu sehen. Das sind aber auch verschiedene Wohnformen und Lebensstile – und vor allem die Straße, auf der wir rumstehen und -sitzen können sowie andere Menschen treffen. Der Umgang miteinander macht die Qualität in Connewitz aus. Bei all diesen Begegnungen im sozialen Raum Connewitz handeln wir jedes Mal neu aus, welche Grenzen wir setzen bzw. welche wir respektieren und wo wir Freiräume lassen. Wir wollen damit nicht in Kiezromantik verfallen. Wir finden es jedoch unerträglich, wenn ein Stadtteil mit seinen Bewohner_innen und deren alternativer, selbstbestimmter und auch politischer Anspruch kriminalisiert wird. Wir wollen selbst aushandeln, welche Grenzen wir setzen bzw. welche wir respektieren und wo wir Freiräume lassen.

Diese Auseinandersetzung braucht keinen weiteren Polizeiposten. Wohnraum und Freiraum sind zentrale Themen der politischen Frage, wie wir hier leben wollen. Wenn wir Symptome der Gentrifizierung im Viertel diskutieren, nehmen wir gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge in den Blick. Kapitalistische Zwänge machen nicht am Connewitzer Kreuz halt.

Wir wollen diskutieren, wir wollen diesen Kiez kollektiv gestalten und weiter politisieren. Lasst uns aus der Nische treten und die politische Auseinandersetzung in Connewitz wieder lebendig machen! Achtet auf weitere Ankündigungen!

Wir sind präsent auf fuerdaspolitische.noblogs.org und erreichbar unter fuerdaspolitische[at]riseup.net

Für ein alternatives Connewitz, frei von staatlicher Repression! Für das Politische!


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Erstunterzeichner_innen

AWC – Alternative Wohngenossenschaft Connewitz e.G.
BS54 e.V.
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Fischladen (Fanladen)
Frau Krause (Kneipe)
Freundeskreis Buchkinder
Hausgemeinschaft Biedermannstraße 24
Hausgemeinschaft Herrmannstraße 4
Kettenreaktion (Fahrradladen)
Könich Heinz (Kneipe)
linXXnet e.V. (Politik-Kultur-Projekte)
Mad Flava (Graffitishop)
PartOne (Textildruckladen)
Red Star Supporters Club (RSSC)
Spätverkauf Lazy dog
Spätverkauf Roni Ramzi
Takatiki (Piercingstudio & Tätowiererei)
Waldfrieden (Gaststätte)


weitere Unterstützer_innen (Stand 20. September 2014)

  1. Die Zwille (Kneipe)
  2. Atelier Zoro e. V.
  3. Wagenplatz Fockestraße
  4. Fahrendes Kulturprojekt e. V.
  5. Werk 2 (Kulturfabrik)
  6. Pavillon am Kreuz (Kiosk)
  7. Bündnis „Privatsphäre Leipzig“
  8. Conveg style (vegane Bekleidung)