Der insgesamt 31. Aufmarsch und damit einjährige „Geburtstag“ von LegIdA, schien ein weiterer Abend zu werden an dem sich gemeine Deutsche, zusammen mit der Dresdener PEgIdA und anderen rassistischen Gruppierungen in der Innenstadt sammeln werden. Circa 3000 Rassist_innen, rechte Hooligans, Nazis und Reichsbürger übten sich dabei in der Bildung einer völkischen Einheitsfront, deren diffuses ideologisches Zerrbild zunehmend in Hass und Gewalt mündet. Eine Bewegung die sich für demokratisch hält, aber faschistisch denkt und handelt. Neben einer allgemein verstärkt menschenverachtenden staatlichen Politik und gesellschaftlichen Stimmung, hat diese Bewegung am 11.01.2016 erneut eine Qualität rechten Terrors hervorgebracht, die viele Menschen schockiert hat.
Gegen 19:30 Uhr attackierte ein Mob aus rund 250 Nazis Personen, Projekte und Läden auf der Wolfgang-Heinze-Straße im Leipziger Stadtteil Connewitz. Doch überraschend sollte dies nicht sein, denn es war die absehbare Konsequenz aus den deutschen -insbesondere sächsischen- Zuständen im Jahr 2015/2016. Auf den kontinuierlichen Alltagsrassismus, folgten im Jahr 2015 bundesweit 527 Angriffe auf Asylunterkünfte (davon 126 Brandanschläge), 388 tätliche Übergriffe und Körperverletzungen gegen Flüchtlinge und 283 rassistischen Demonstrationen (1) sowie auch antisemitische Ausschreitungen und Vorfälle (2). Zusätzlich radikalisierte sich die Gewalt gegen linke Projekte, Personen und Strukturen, bspw. mit Angriffen von 41 Nazis auf die Rigaer Straße 94 in Berlin (3), auf die Robert-Matzke-Straße 16 in Dresden, das AKW in Bitterfeld-Wolfen und viele weitere. Schon am 12.12.2015 war es das erklärte Ziel von Nazis „Connewitz in Schutt und Asche zu legen“ (4) und auch der Angriff am 11.01.2016 wurde angekündigt. Es solle einen „Sturm auf Leipzig“ geben (5), Koordinaten von Angriffszielen in Connewitz wurden auf der Internetplattform der rechten Hooligangruppierung Brigade Halle veröffentlicht und weitere Ankündigungen folgten. Das es Connewitz -ein seit den Angriffen der 90er als relativ „sicher“ empfundenes Szeneviertel- allerdings so zentral und in diesem Ausmaß trifft und treffen konnte, war beängstigend, verunsichernd, versichernd das Connewitz auch nur Deutschland ist.
Die Vorbereitung und Koordination der Aktion mit 250 gewaltbereiten Nazis, die sich wahrscheinlich größtenteils aus dem rechten Hooliganspektrum des Lokomotive Leipzig und dem Halleschen FC (6) aber auch überregional agierenden Kadern (7)(8) zusammensetzten, fielen dem sächsischen Verfassungsschutz aufgrund der wohlwollenden Ignoranz und/oder Unfähigkeit nicht auf. Behördensprecher Falk Kämpf ging bei „rechtsextremistischen Gruppen“ nur von einer Mobilisierung „in nur geringem Umfang“ aus, allerdings sollte „ein gewaltgeprägter Verlauf der Gegenaktionen“ zu LegIdA heraufbeschworen werden (9). Diese für sächsische Behörden systematische und politische Fehleinschätzung, bescheinigt dem VS abermals seine Überflüssigkeit. Dass Verfassungsschützer und Burschenschafter wie der Präsident des sächsischen VS, Gordian Meyer-Plath, auch mal rechts ein Auge zudrücken, ist spätestens seit dem NSU bekannt (10). Die Initiativen „Leipzig nimmt Platz“ und „Legida? Läuft nicht!“, zwei der Akteure des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Legida, wurden vom Verfassungsschutz kurzerhand noch zu “Linksextremisten” erklärt, bei PegIdA und LegIdA ist man sich noch uneinig. Auch aufgrund des Versagens der Polizei Leipzig war es den mindestens 250 Nazis damit möglich, sich gegen 19:10 Uhr im Bereich Friedhof Connewitz/Threnaer Str. zu treffen. Anschließend bewegte sich die Gruppe verhältnismäßig unauffällig über die Meusdorfer Str., Biedermannstr. und Hermannstr. auf die Wolfgang-Heinze Straße im Zentrum des Viertels.
Dort angelangt begannen sie lautstark Sprechchöre wie „Hooligans! Hooligans!“ und „Sieg Heil“ zu brüllen und insgesamt 21 Projekte, Kneipen, Geschäfte und Wohnungen zu zerstören. Dabei wurden z.B. der Fischladen des Roten Stern Leipzig, Bäckereien, Optiker, die Szenekneipe Könich Heinz, eine Wohnung und vieles andere mit Pflastersteinen, Baseballschlägern, Äxten, Latten und Pyrotechnik attackiert. Gegen das Shahia II, ein Dönerladen mit nicht weißem Personal, wurde sogar ein illegaler Sprengkörper eingesetzt. Der Fischladen konnte von Aktivist_innen die sich dahin retteten verbarrikadiert werden, andere Ladenbetreiber_innen schafften es durch Hintertüren zu fliehen oder sich in Räumen einzuschließen um den Angriffen zu entkommen. Der rassistische Mob drehte kurz vor dem Connewitzer Kreuz um und griff erneut Ziele auf der Wolfgang-Heinze-Straße an bevor er in die Auerbachstraße abbog. Etwa in Höhe des dortigen Polizeireviers wurden 211 Faschist_innen von der Polizei festgesetzt (11). Innerhalb der darauf folgenden Minuten waren etliche Linke auf der Straße um weitere Angriffe zu verhindern. Ob sich die Täter überhaupt einem Prozess bzw. einer Verurteilung stellen müssen bleibt fraglich, wenn diese ungestört randalieren konnten und allen einzeln eine spezifische Tat nachgewiesen werden muss (12). Einige Tatwaffen wurden zudem vor dem Zugriff eilig entsorgt und von der Spurensicherung übersehen (13). Darunter Messer und Quarzhandschuhe.
Kurze Zeit nach den Angriffen begann die Polizei mit der Räumung der Wolfgang-Heinze-Straße, riegelte diese ab und stellte zwei Wasserwerfer den linken Gruppierungen und Anwohner_innen gegenüber. Einige Pressevertreter_innen wollten in den abgesperrten Bereich, wurden aber daran gehindert. Auf die Frage nach dem Sinn der Wasserwerfer, gab ein Polizist zu verstehen sie seien „zur Beruhigung der erhitzten Gemüter“. Im weiteren Verlauf begannen die Löscharbeiten des brennenden Hauses in der Wolfgang-Heinze-Straße. Gegen 22:00 Uhr folgte der Abtransport der in Gewahrsam genommenen Rechten und in diesem Zusammenhang die Räumung der Kreuzung Mathilden-/Herder-/Wolfgang-Heinze-Straße. Den auf der Kreuzung stehenden Menschen wurde keine Begründung für die Räumung entgegengebracht, stattdessen sofortiges Schubsen und teilweise Schlagstockeinsätze der Polizist_innen gegen die Ansammlung. Auf Nachfrage zur Begründung der Maßnahme und der Aufforderungen der Unterlassung von Gewaltanwendung seitens der Polizei wurde nicht bzw. unsachlich und beleidigend mit “Verpisst euch, das ist ein Befehl!“ reagiert. Erste durch Polizisten verletzte Menschen wurden gemeldet und mussten ärztlich versorgt werden. Daraufhin kam es seitens linker Gruppierungen zur Gegenwehr, woraufhin ein Wasserwerfer und Reizgas eingesetzt wurden. Das Agieren der Polizei und der erneute Angriff auf die „Angegriffenen“ und Bewohner_innen ist zu verurteilen und lässt auf die politischen Verhältnisse in Leipziger Polizeistrukturen schließen. Dies wird abermals durch offenkundig gewordene Verbindungen zwischen Polizei und rechten Strukturen verdeutlicht (14). „Es liegt ein brauner Schatten über der Polizeidirektion Leipzig“, so Andreas Loepki (Pressesprecher der Polizei Leipzig) in einer später wegredigierten Aussage gegenüber der LVZ (15).
Weitere Angriffe auf potentielle Ziele konnten von linken Gruppen, die sich an diesen Punkten versammelten, verhindert werden. Polizist_innen waren an diesen Orten trotz eingegangener Hinweise nicht anwesend. So machten einige Personen später den Treffpunkt des Mobs in der Threnaer Straße aus und wurden daraufhin dort attackiert. Die Polizei verweigerte ihren Einsatz an dem Nazi-Sammelpunkt mit der Begründung, dass der Schutz des Raumes an der Kreuzung Arno-Nitsche/Meusdorfer Straße der Befehl wäre. Vier Einsatzfahrzeuge standen an der Total-Tankstelle auf der Arno-Nietzsche-Straße in ca. 150 Metern Entfernung zum Nazi-Sammelpunkt, an dem auch zahlreiche Autos aus diversen Landkreisen in denen vermehrt rechte Aktivitäten zu verzeichnen sind, parkten. Ein weiterer Anreisepunkt der Nazis war die Selnecker Straße direkt am Connewitzer Kreuz, wie später bekannt wurde. Auch auf der Selnecker Straße fanden erkennungsdienstliche Maßnahmen seitens der Polizei gegen linke Aktivist_innen statt, während entkommene rechte Hooligans fast ohne jegliche Kenntnisnahme abreisen konnten.
Neben dem Versagen von Polizei und Staatsschutz ist auch der Umgang von Lokalpolitik und großen Teilen der „Zivilgesellschaft“ mit einer wachsenden völkischen, nationalistischen und rassistischen Bewegung scharf zu kritisieren. So bedient sich OBM Jung der verhängnisvollen Extremismustheorie und behauptet, dass „Extremisten, diesmal von rechtsaußen, mit offenem Straßenterror“ agieren und setzt damit linke und rechte Politik gleich. Demnach hätte das „Geschehen nichts mit Politik“ zu tun (16). Solche Aussagen sind vor dem Hintergrund massivster rassistischer und politischer Gewalt in Deutschland nicht zu rechtfertigen. Ebenso scheinheilig und wirkungslos bleiben angesichts der Ereignisse die Inszenierungen einer „weltoffenen, toleranten und bunten“ Gesellschaft durch Lichterketten. Diese Inkompetenz gipfelt in der Leipziger CDU und deren Bundestagsabgeordneten Bettina Kudla, welche einerseits Gesellschaftspolitik als Verwaltungsakt missversteht, denn sie „halte auch nichts davon, wenn politische Amts- und Funktionsträger im Rahmen von Demonstrationen auf der Straße ihren politischen Willen bekunden“. Andererseits behauptet sie, die „Forderung nach einem ‚Europa der offenen Grenzen‘ ist kontraproduktiv“ und die „lapidare Betonung des Grundrechts auf Asyl suggeriert“ den „Willen zu einer unbeschränkten Aufnahme von Menschen“. Anschließend wird auf das Problem des Linksextremismus verwiesen (17). Durch diese Äußerungen bestärkt, werden rassistische Aufmärsche und Gewalt auch 2016 Deutschland prägen.
Wirksam wird weiterhin nur eine radikale Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen sein, die ursächlich für eine weitere Barbarisierung in Deutschland und Europa sind: Nationalismus, Kapitalismus und Rassismus. Darüber hinaus ist leider davon auszugehen, dass sich die Lage auch in Zukunft, auch in Connewitz weiter verschärft. Weitere Straftaten gegen Aktivist_innen von NoLegida, Jürgen Kasek (Bündnis 90/Die Grünen) und Juliane Nagel (DIE LINKE) wurden bereits angekündigt (18), ebenso weitere Hooligan-Gewalt im Viertel. Neben antifaschistischem Lifestyle in einer Blase -die das Viertel für manche geworden ist- wird es mehr um die Diskussion und Entwicklung einer Theorie und Praxis gehen müssen, die der verstärkten Gewalt auf der Straße etwas entgegenzusetzen weiß. Ein Mehr an politischer und gesellschaftlicher Vernetzung, Vorbereitungen in Häusern, effiziente Strategien und eine Reflexion von Gewalt, Militanz und emanzipatorischer Praxis können der Anfang sein. Eine mackerige Kiezmiliz, Scherbendemos oder reflexhafte Gegenreaktionen hoffentlich nicht das Ende. Die entschlossene aber nicht blind wütende antifaschistische Demonstration am 12.01.2015 war dazu vielleicht das anstoßende Moment (19).
Aus Solidarität mit den betroffenen Läden, Kneipen und Geschäften wurde eine Spendendose in der Naturbackstube Connewitz sowie folgendes Spendenkonto von Roter Stern Leipzig 99 e.V. und der Amadeu Antonio Stiftung eingerichtet.
Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung, Stichwort: Leipzig
GLS Bank Bochum
BLZ 430 609 67
Konto 6005 0000 02
IBAN: DE75 4306 0967 6005 0000 02
BIC: GENODEM1GLS
Let’s (not just) talk about
(1) https://mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/chronik-vorfaelle?field_date_value[value][year]=2015
(2) http://www.sz-online.de/nachrichten/gruppe-attackiert-israelis-3295524.html
(3) http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/berlin-friedrichshain-41-nazis-in-der-rigaer-strasse-festgenommen/12312400.html
(4) http://leipzignimmtplatz.blogsport.de/2015/12/07/aufruf-zum-12-dezember-2015-frueh-aufstehen-gegen-voelkische-erweckung/
(5) http://www.lvz.de/Specials/Themenspecials/Legida-und-Proteste/Legida/Ticker-zum-Aufmarsch-von-Legida-und-Pegida-am-11.-Januar-2016-in-Leipzig
(6) Polizeisprecher Loepki https://www.youtube.com/watch?v=2uIaOq_mOhY
(7) https://www.facebook.com/AntifaInfosMobilisierungen/
(8) https://www.vice.com/de/read/neonazi-hools-haben-in-der-nacht-das-leipziger-linken-viertel-angegriffen-932?utm_source=vicefbde&utm_medium=link
(9) http://www.dnn.de/Mitteldeutschland/News/Verfassungsschutz-warnt-vor-Krawallen-in-Leipzig-Stadt-gibt-Routen-bekannt
(10) http://www.taz.de/Saechsischer-Verfassungsschutzchef/!5040173/
(11) http://www.polizei.sachsen.de/de/MI_2016_40346.htm
(12) http://www.sechel.it/die-voelkische-einheitsfront-marschiert-in-leipzig/
(13) https://www.inventati.org/leipzig/?p=3985
(14) http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Maulwurf-bei-der-Polizei-Leipziger-NPD-erhaelt-interne-Dokumente
(15) https://www.freitag.de/autoren/gsfrb/der-braune-schatten-der-polizei-leipzig
(16) http://www.leipzig.de/news/news/oberbuergermeister-burkhard-jung-zu-den-krawallen-in-connewitz-am-11-januar-2016/
(17) http://www.l-iz.de/melder/wortmelder/2016/01/bettina-kudla-mdb-distanziert-sich-von-zielen-der-lichterkette-leipzig-bleibt-helle-121916
(18) https://twitter.com/NOLEGIDA/status/686628271744757761
(19) http://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/2000-demonstrieren-im-Leipziger-Sueden-gegen-Rechts
facebook.com/fuerdaspolitische
https://fuerdaspolitische.noblogs.org/
fuerdaspolitische@riseup.net
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2 Antworten auf „Pressemitteilung „Rechter Straßenterror in Connewitz – eine kritische Zusammenfassung““
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